Wie passen Strom und Nachhaltigkeit auf Festivals zusammen?
Letzte Woche haben unsere finalen Futur 2 NachhaltigkeitsTalks stattgefunden. Wir blicken zurück auf eine tolle Veranstaltungsreihe, die uns die Möglichkeit gegeben hat vom Schreibtisch und Sofa aus mit spannenden Referent:innen über vielfältige, nachhaltige Themen in der Veranstaltungsbranche zu diskutieren. Wir bedanken uns nochmal bei all unseren Redner:innen, dass sie ihre Einblicke und Best Practise Beispiele mit uns geteilt haben und allen Zuhörer:innen für die vielen Fragen und wertvollen Diskussionen. Alle Talks können auf unserem YouTube- Kanal noch einmal angeschaut werden. Die Themen reichen von nachhaltigem Catering, über Barrierefreiheit, Nachhaltigkeitskommunikation, Energiewende auf Festivals und Organisationsorganisation.
Bei einem der Themem haben wir nochmal genauer nachgefragt und uns mit unserer Referenten Björn Hansen vom Nachhaltigkeitstalk im August zum Thema Energiewende auf Festivals zum Interview getroffen. Björn Hansen ist nicht nur Geschäftsführer der Morgenwelt GmbH und Veranstalter des Futur 2 Festivals, sondern auch Teil des Green Events Orgakreises und er hat uns geduldig alle Fragen zum Thema Strom, Watt, Volt, Generatoren und Energieautarkie auf Festivals beantwortet. Denn sein Futur 2 Festival ist das erstes energieautarkes Festival – die gesamte benötigte Energie wird vor Ort regenerativ erzeugt. Was genau das bedeutet und was es ansonsten bezogen auf Nachhaltigkeit bei den Themen Strom und Energie auf Festivals zu beachten gibt, erklärt er uns genauer.
Aus welchen Stromquellen bezieht ihr eure Energie? Und wie funktionieren diese?
„Das Futur 2 Festival ist so konzipiert, dass es ohne externen Stromanschluss funktioniert. Wir haben uns vorgenommen, die Energie, die wir benötigen, möglichst auf der Veranstaltungsfläche selbst zu produzieren. Herzstück des ganzen Konzeptes ist dabei eine Solaranlage mit 22.000 Watt Leistung, die so aufgestellt ist, dass sie auf der Fläche keine Verschattung und den idealen Output hat. Das heißt, das ganze Festival ist letztendlich um eine ideal ausgerichtete Solaranlage herum konzipiert. Und mit dieser Solaranlage versorgen wir unsere sogenannte „Solar-powered-stage“, aber auch unsere Gastronomie und das Licht auf der gesamten Fläche.
Dann haben wir noch eine zweite Bühne, die heißt „Pedal-powered-stage“ und wird – wie der Name vermuten lässt – von den auf Fahrrädern in die Pedale tretenden Besucherinnen und Besuchern des Festivals versorgt. Vor der Bühne sind Fahrräder platziert, deren hinteres Rad frei dreht, in der Radnabe befindet sich ein Generator. Dort wird der Strom für die zweite Bühne erzeugt. Hierbei ist die Besonderheit, dass der Trittwiderstand auf diesen Fahrrädern davon abhängig ist, wieviel Energie benötigt wird. Das heißt, je mehr Energie auf der Bühne benötigt wird, desto schwerer wird es zu strampeln. So schaffen wir eine unmittelbare Verlinkung zwischen der benötigten Energie auf der einen und dem Trittwiderstand auf der anderen Seite. Damit versuchen wir, ein Bauchgefühl zur Schlüsselressource Strom zu schaffen. Und das ist das Energiekonzept des Futur 2 Festivals.“
Wie stellt ihr denn sicher, dass der Strom reicht?
„Hinter der Solaranlage haben wir einen Puffer, einen Batteriespeicher, der von der Solaranlage versorgt wird und der Lastspitzen abpuffert, damit die Performance nicht unterbricht. Sollte die Solaranlage wirklich einmal nicht genügend Strom liefern und dieser Pufferspeicher auch irgendwann leer ist, dann haben wir noch einen Ethanol-Generator. Der wird eben mit Ethanol – also Alkohol – betrieben und nicht mit Diesel und ist dadurch weitestgehend klimaneutral. Der springt aber nur im Notfall als Backup-Lösung an.
Zudem haben wir ein sehr ausführliches und detailliertes Energietracking, das beinhaltet insbesondere, dass wir auf einem Zeitstrahl alle Verbraucher, die auf dem Festival betrieben werden, mit dem prognostizierten Energiebedarf eintragen, und zwar mit dem tatsächlichen und nicht dem maximalen. Das heißt, wir messen jeden Verbraucher vorab und überprüfen, wieviel Strom jeder einzelne tatsächlich benötigt. Dadurch wissen wir eigentlich sehr genau, wieviel Energie wir zu welchem Zeitpunkt theoretisch brauchen. Auf Basis dieser Daten haben wir die Solaranlage dimensioniert, die dann eigentlich reichen sollte.“
In unserer Checkliste empfehlen wir das Vorabmessen des Energiebedarfs auch! Macht das auch für Veranstaltungen mit einem anderen Konzept Sinn?
„Es macht auch für andere Veranstaltende in jedem Fall Sinn so zu agieren, weil die Energieversorgung auf großen Festivals oder auf Veranstaltungen allgemein sehr häufig völlig überdimensioniert ist. Das liegt daran, dass jedes einzelne Gewerk immer die Energie als Bedarf angibt, die es maximal verbraucht. Das ist aber häufig nicht darauf gerechnet, was wirklich benötigt wird, sondern darauf, was maximal in der Spitze über den jeweils vorhandenen Stromanschluss laufen kann. Beispiel: Wenn ein Promotionmodul ein 16 Ampere CEKON-Anschluss hat, dann passen da ca. 10.000 Watt Strom durch und jemand, der dieses Modul auf ein Festival stellt, würde sagen, er brauche 10.000 Watt. Tatsächlich braucht so ein Modul aber im Zweifel nur 200 oder 300 Watt. Daran lässt sich erkennen, wie groß der Gap ist und wie groß das Einsparpotential und das Effizienzsteigerungspotential bei temporärer Infrastruktur und bei Festivals insbesondere.“
Bevor wir tiefer in die Materie eintauchen, kannst du uns in einem kleinen Exkurs mal die Begrifflichkeiten erklären? Was genau sind die Unterschiede zwischen Watt, Ampere, Volt, Kilowatt und Kilowatt/h?
„Ok, fangen wir bei 0 an. Watt steht für die elektrische Leistung. Diese setzt sich zusammen aus Spannung x Stärke. Je größer beides ist, desto mehr elektrische Leistung (Watt) erhält man. Volt bezeichnet die elektrische Spannung, Ampere ist die Stärke. Also Watt = Volt x Ampere.
Watt bezeichnet die Leistung, die ein Gerät in diesem Moment erzeugt. Ein Herd, den man z.B. halb aufdreht hat vielleicht in diesem Moment 1000 Watt oder ein Kilowatt. Denn ‚Kilo‘ heißt nichts anderes als 1000. Lasse ich den Herd eine ganze Stunde auf dieser Temperatur laufen, verbraucht der Herd 60 Minuten lang 1000 Watt. Das wäre dann eine Kilowattstunde. Drehe ich den Herd voll auf kommen wir vielleicht auf 2000 Watt Spitzenleistleistung. Auf 60 Minuten gerechnet also 2 Kilowattstunden.
Alles klar. Das hat geholfen. Aber weiter im Text: Wie kann man denn überhaupt die eigenen Strombedarfe z.B. als Standbetreiber:in vorher messen? Wie funktioniert das bei euch, auf dem Futur 2?
„Jedes Gerät hat unten oder auf der Rückseite, auf dem Boden oder da, wo der Stromanschluss ist, eine Angabe, wieviel Watt oder KV und wieviel Volt das Gerät braucht. Ein normaler Schuko-Anschluss, wie wir ihn aus dem Haus kennen, stellt immer 220 / 230 Volt und dann maximal 3.500 Watt zur Verfügung – das ist das, was durch einen normalen Stromanschluss an maximaler Leistung passt. Und wenn man einen CEKON-Drehstromanschluss hat, dann ist es das 3-fache davon, das heißt, es gibt 3 x 3.500 Watt. Wenn man einen 32-Ampere Anschluss hat, dann ist es sogar das 6-fache oder das 12-fache bei einem 63-Ampere Stromanschluss und so weiter. Das heißt, bei einem 32-Ampere-Stromanschluss hat man 12x 3.500 Watt Spitzenleistung. So muss man sich das vorstellen. Und als Standbetreiber ist man aufgefordert, sich genau anzugucken, wieviel jedes Gerät tatsächlich braucht. Dann kommt man zu einer Gesamtanzahl an Kilowattstunden oder an Kilowatt oder Watt, was man theoretisch verbraucht. Dann sollte man einmal seinen gesamten Stand unter Volllast betreiben und messen, was an dem Stromanschluss tatsächlich an Energie gezogen wird. Und daraufhin hat man eigentlich eine relativ verlässliche Information über den tatsächlichen Verbrauch. Häufig ist es auch so, dass sehr alte Geräte sehr viel Energie brauchen und neuere Geräte deutlich effizienter sind. Deswegen sollte man auch regelmäßig dort gucken, ob es bessere Lösungen gibt als die aus den letzten 20 Jahren.“
Gibt es auch Limitierungen dieses Konzepts?
„Also grundsätzlich halten wir das Konzept des Futur 2 Festivals für skalierbar. Grenzen sind immer dann gegeben, wenn Wärme erzeugt werden soll – mit Strom zum Beispiel. Dann ist ein hoher Verbrauch vorprogrammiert, weil es sehr ineffizient ist: Strom wird häufig erzeugt, indem man auf anderen Wegen Wärme erzeugt, dann Wasserdampf und damit Turbinen antreibt, die wiederum Strom erzeugen. Dieser Strom wird dann durch Netze gespeist, dabei gibt es überall hohe Übertragungsverluste und ganz am Ende wird aus dem Reststrom, der noch ankommt, wieder Wärme. Insofern lässt sich daraus, glaub ich, ableiten, dass es wenig sinnvoll ist, auf Veranstaltungen mit Strom zu kochen. Deswegen bin ich ein Verfechter davon, das mit Gas zu tun, weil da die Primärenergie, also das Gas, unmittelbar in Wärme umgesetzt wird, anstatt durch diese ganzen Übertragungswege nur zu einem kleinen Bruchteil wieder in Wärme umgewandelt zu werden.
Wir betreiben das Futur 2 Festival im Wesentlichen mit drei Schuko-Phasen à 3.500 Watt, also 10.500 Watt insgesamt – in der Spitze bis 5.000 Watt, also 15.000 Watt zusammen. Bei einem Food Truck hat allein schon eine Fritteuse 30.000 Watt Wärmeleistung. Das heißt nur diese eine Fritteuse in diesem einen Food Truck benötigt doppelt so viel Energie wie das ganze Festival. Wenn wir die also mit Strom betreiben wollen würden, könnte ich die Hälfte mit der Volllast des Festivals betreiben. Betreibt man diese Fritteuse aber mit Gas, ist der Energiebedarf stromseitig entsprechend geringer. Und auf diese Art und Weise agieren wir eben sehr effizient.
Letztendlich ist also alles skalierbar, auch ein solches Konzept, aber würde man nun auf dem Futur 2 Festival Fritteusen neben Kaffeemaschinen stellen und alles anmachen, würde das System natürlich kollabieren, weil man eben die entsprechende Energie nicht zur Verfügung stellen kann.“
Üblicherweise kommen Generatoren auf Outdoor Festival zum Einsatz. Was ist das Problem an klassischen Generatoren und gibt es Alternativen?
„Das Problem an diesen Generatoren ist schon ein vergleichbares, wie das, was ich eben beschrieben habe: Jedes Gewerk auf einem Festival meldet an den Verantwortlichen, bei dem die Fäden zusammenlaufen, die Maximalleistung – völlig unabhängig von der Frage, wieviel tatsächlich an Energiebedarf herrscht. Und wenn jemand 10 KV braucht, meldet er im Zweifel, um ganz sicher zu sein, 15 KV. Der*die nächste Ansprechpartner:in bündelt diese Anfragen, sagt, ich brauche 100 KV, ich mach mal 120 KV daraus. Und so wird die Dimension dessen, was an Überkapazitäten da ist, immer größer und am Ende stehen auf Festivals riesige Generatoren, mit einem wahnsinnigen Energie-, meistens Dieselbedarf, die gerade mal in Grundlast laufen. Das ist dann so, als wenn man auf dem Fahrrad im Leerlauf tritt. Die können vielleicht 100.000 Watt erzeugen und stehen dort, weil irgendjemand in eine Excel-Liste 100.000 Watt eingetragen hat, aber tatsächlich benötigt werden nur 20.000 Watt, also 80% überdimensioniert. Und das ist fast eher der Regelfall als die Ausnahme auf Festivals. Daran lässt sich erkennen, dass einfach zu große Generatoren zum Einsatz kommen, die natürlich mehr Energie verbrauchen als kleine Generatoren, weil sie eine höhere Grundlast haben. Dazu kommt, dass sie auf größeren LKWs von A nach B gefahren werden müssen, um am richtigen Ort zu sein usw.
Das ist ein Teil des Problems. Der zweite Teil des Problems ist einfach, dass es alles andere als nachhaltig ist, auf eine grüne Wiese einen Dieselgenerator zu stellen und einen Öltank daneben und damit ein Wochenende lang ein Festival zu versorgen, was sich im Zweifel noch durch irgendwelche „Feigenblättchenmaßnahmen“ den Anstrich eines grünen und nachhaltigen Festivals gibt.“
Und was ist genau die Alternative zu diesen Generatoren?
„Die Alternative sind kleinere Generatoren bzw. auch alternative Brennstoffe, wenn man zum Beispiel mit Wasserstoff – das ist jetzt Zukunftsmusik – arbeitet oder wenn man mit Ethanol arbeiten würde, also mit nachwachsenden Rohstoffen und nicht mit Diesel. Diesel kann man nur einmal verfeuern und hat dann eine schlechte CO2-Bilanz. Wenn man aber beispielsweise Brennstoffe einsetzt, bei denen beim Wachsen der zugrunde liegenden Pflanzen der CO2-Anteil erstmal gebunden wird, der dann beim Verbrennen wieder ausgestoßen wird, ist das bilanziell am Ende CO2-neutral. Deswegen plädiere ich dafür, alternative Brennstoffe in den Mittelpunkt zu rücken. Und wenn man dann noch parallel nicht so stark überdimensioniert und jede*r Standbetreiber:in genau weiß, was er*sie braucht, dann kommt man in eine Richtung, die deutlich effizienter ist als das, was man jetzt hat.“
Beim Futur 2 kommen ja in der Regel 5.000 Besucher:innen… Wäre auch ein größeres Festival mit diesen Maßnahmen betreibbar?
„Ich würde sagen ja. Das hängt dann eben auch davon ab, dass man Strukturen für eine dezentrale Energieversorgung schafft, dass man also für jeder Bühne zum Beispiel eine eigene autarke Energieversorgung herstellt, damit das System insgesamt nicht zu groß wird, sondern man eine kleinteiligere Energieversorgung hat. Das ist aber auf jedem großen Festival genauso, also auch jede Bühne auf dem Hurricane hat ihre eigenen Generatoren, insofern ist das analog. Zudem braucht man ein intelligentes und dynamisches Energiemanagementsystem und -konzept, wann man wo wieviel Energie benötigt.
Die Vision muss also sein, irgendwann dorthin zu kommen, auch sehr große Festivals mit so einem Konzept zu veranstalten. Das, was wir mit 5.000 Besucher:innen machen, würde ich uns durchaus auch zutrauen, mit 10.000 zu schaffen. Und wenn man das mit 10.000 ein paar Jahre gemacht hat, dann kann man auch auf 20.000 gehen – und dann ist man irgendwann auf dem Hurricane.“
Wovon hängt der benötigte Strom denn noch ab? Ist es egal, ob auf der Bühne Pop, Rock oder auch Klassik gespielt wird?
„Der Stromverbrauch einer Performance hängt schon ein bisschen auch vom Genre ab. Es ist so, dass tieffrequente Töne deutlich mehr Energie benötigen, um verstärkt zu werden, als hochfrequente. Das merkt man auch, wenn man vor einer Bühne steht. Die Bässe spürt man im Magen. Zur Verstärkung von basslastiger Musik braucht man viel mehr Energie als bei einer Stimme zum Beispiel. Menschliche Stimmen sind in einem anderen Frequenzspektrum und je tiefer die Frequenz, desto mehr Energie wird benötigt, um sich adäquat zu verstärken. Das heißt also basslastige Musik, also Elektro zum Beispiel, braucht deutlich mehr Energie als zum Beispiel Klassik.
Ein anderer Punkt ist, dass die Kühlung zum Beispiel mehr Energie braucht, wenn es sehr heiß ist. Am Ende ist der Energiebedarf eines Festivals immer auch mit vom Wetter abhängig. “
Vielen Dank an Björn Hansen für das Interview.