Seit 2006 verwandelt das Reeperbahn Festival einmal im Jahr die Hamburger Reeperbahn in das Zentrum der internationalen Musikszene. Das Festival zieht ein diverses Publikum an und bietet Künstler:innen und der Musikwirtschaft die Möglichkeit, gemeinsam neue Musik und Talente zu erleben, Kontakte zu knüpfen und an Panels, Vorträgen sowie Netzwerkveranstaltungen teilzunehmen. In Zahlen bedeutet das jährlich: über 50.000 Gäste und 6.000 Fachbesucher:innen aus über 50 Ländern an mehr als 100 Spielorten mit über 600 Konzerten und insgesamt weit über 1000 Veranstaltungen.
Problematik
Auf dem Reeperbahn Festival kommen Menschen aus der ganzen Welt zusammen. Damit sich all diese Menschen sicher fühlen, braucht es ein gemeinsames Verantwortungsbewusstsein, um Diskriminierung, Gewalt und grenzüberschreitendes Verhalten zu verhindern. Die Veranstaltungsfläche des Festivals ist groß – und ob des dezentralen Charakters keine zusammenhängende Gesamtfläche. Sie umfasst 90 Spielorte rund um die Reeperbahn und das Heiligengeistfeld, sowie in ganz Sankt Pauli und darüber hinaus. Die Vielfalt, Größe und Dezentralität der Venues stellt im Vergleich zu anderen Veranstaltungen eine besondere Herausforderung in der eines Erstellung eines Awareness-Konzeptes dar.
Lösungsansatz
Gemeinsam mit dem Verein Act Aware e.V. wurde 2021 ein Awareness Konzept entwickelt und seitdem stetig weiterentwickelt. Es umfasst einen Code of Conduct, Awareness Richtlinien, Awareness Teams, einen Awareness Point und die Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme. Weiter wird das Thema Awareness auch im Programm thematisiert.
Code of Conduct
Der für das Reeperbahn Festival entwickelte Code of Conduct wurde über alle Festivalkanäle veröffentlicht. Er formuliert eine Vereinbarung aller Beteiligten zu einem achtsamen Miteinander, gegenseitiger Wertschätzung und einen verantwortungsvollen Umgang.
Awareness Teams und Awareness Point
Hauptanlaufpunkt ist der Awareness Point am Eingang des Festival Village auf dem Heiligengeistfeld. Dieser ist für alle Stakeholder und das Publikum gut erreichbar, denn neben der Verhinderung von beispielsweise sexualisierter Gewalt unter Besuchenden gibt es natürlich auch innerhalb der Veranstaltungsorganisation Strukturen, die ein Ungleichgewicht von Macht haben. Der Awareness Point dient als Rückzugsbereich, neben Ansprechpartner:innen aus dem Awareness Team bietet er Möglichkeiten zur körperlichen Entspannung, wie z.B. Igelringe und Akkupressurringe, es gibt Getränke und Snacks. Awareness-Infomaterial, Broschüren von Beratungsstellen sowie Angebot wie das Basteln von Empowerment-Ketten oder Selbstreflexions-Postkarten schaffen Zugang zum und Sichtbarkeit für Thema.
Awareness Teammitglieder sind durch Jeanswesten mit lilafarbenen Regenschirm-Symbol gut wieder zu erkennen. Mit dem Rad können sie bei Bedarf die verschiedenen Spielstätten anfahren, koordiniert und kommuniziert wird dabei maßgeblich über das Handy.
Das Awareness-Team ist auch nach der Schließung des Festival Villages noch bis zum Ende der Konzertveranstaltungen ansprechbar.
Handlungsrichtlinien
Sie regeln die genauen (zeitlichen) Abläufe und definieren die Zusammenarbeit der Awareness Teams z.B. mit dem Sicherheitsdienst, den Sanitäter:innen, der Produktionsleitung und Mitarbeitenden der Venues.
Das Team des Reeperbahn Festivals wird über einen umfangreichen Leitfaden, Briefings und Workshops zum Thema informiert und geschult. 2024 gab es beispielsweise einen Grundlagenworkshop zum Thema Awareness und einen Vertiefungsworkshop zum Thema Unterstützungsarbeit für das interne RBX GmbH Team. Kurze und übersichtliche Informationen finden sich zudem im Crew Heft und auf Handkarten, die an die Mitarbeitenden unterschiedlicher Gewerke ausgegeben werden. Veranstaltungsstätten werden vorab per Mail über das Awareness Konzept gebrieft, erhalten eine Liste mit Ansprechpersonen und stehen in regelmäßigem Austausch mit dem Awareness Team. Auch die Artists werden einbezogen. Dies hat zwei Gründe: Zum einen können auch sie Betroffene sein, darüber hinaus sind die wertvolle Multiplikator:innen für die Sache. Sie erhalten Informationen über das Artists Booklet und Plakate im Backstagebereich.
Besucher:innen von Festival und Konferenz werden über die Webseite und Soziale Medien informiert. Abonnenten der Festival App erhalten täglich eine Push-Benachrichtigung. Vor Ort klären Plakate, Flyer und Banner auf. Hier ermöglicht die angegebene Telefonnummer auch die direkte Kontaktmöglichkeit mit dem Awareness Team. In Programmpausen der Konferenz werden die Screens zum Sensibilisieren und für die Aufklärung genutzt.
Handbuch der gemeinsamen Verantwortung
Informationsangebote
Im Programm fand 2024 öffentlich ein Panel und Workshop zu den Themen Allyship und Empowerment statt. Für die Begriffserklärung siehe auch: Glossar Awareness Akademie Der Konferenzbereich des Festivals, der sich an Teilnehmende aus der Musikindustrie richtet, bot einen Netzwerkbereich für Menschen, die bereits im Awareness-Bereich in der Branche arbeiten oder auch das Thema in Zukunft umsetzen wollen.
Herausforderung
90 unterschiedliche Venues bedeuten eine sehr komplexe Kommunikationsstruktur. Das dezentrale Festival findet zudem hauptsächlich im Hamburger Stadtteil Sankt Pauli statt, mit viel festivalfremden Laufpublikum, das sich nicht mit dem Awareness Konzept auseinandergesetzt hat. Im öffentlichen Raum zwischen den Venues fehlt außerdem das Hausrecht, da das Gelände offiziell nicht zum Festivalgelände gehört. Das bedeutet, dass vor allem die Erstkontakte sehr gut und schnell funktionieren müssen, um deutlich aufzeigen zu können, dass Awareness Team und Sicherheitsdienst des Festivals berechtigt sind einzugreifen.
Innerhalb der Musikindustrie bestehen zudem starke Abhängigkeiten, beispielsweise von Nachwuchsmusiker:innen zu Labels oder Booking Agenturen. Und es gibt Machtgefälle bei Musiker:innen untereinander. Trauen sich beispielsweise Nachwuchsmusiker:innen, Übergriffe durch Headliner zu melden?
Unterschiedliches Interesse und Wissensstände der Stakeholder und Besucher:innen erschweren eine passgenaue Ansprache.
Bilanz
Die Umsetzung des Awareneess Konzepts wurde bei den Mitarbeitenden und dem Publikum sehr positiv wahrgenommen. Der Awareness Point wurde rege angenommen. Es gab Rückmeldung durch betroffene Personen, die trotz erlebter übergriffiger Situationen das Reeperbahn Festival wieder besuchen würden, da sie im Anschluss klar parteilich und betroffenen-zentriert unterstützt wurde.
Die Teams waren jeweils von ab elf und bis zwei Uhr vor Ort und arbeiteten in zwei Schichten. Sie bestanden aus einer Leitung plus drei weiteren Teammitgliedern und wurden in besucherstarken Zeiten durch ein Zweier-Team aufgestockt. Für das gemeldete Fallaufkommen war die Personalstärke ausreichen.
Die Entfernung zwischen den Venues bleibt eine Herausforderung. Bisher kam es glücklicherweise nicht zu Engpässen. Dennoch soll in Zukunft für den Fall zeitgleicher Vorfälle in weit voneinander entfernten Venues Vorsorge getroffen werden.
Vision
In den kommenden Jahren soll das Awareness Angebot auf der Veranstaltung noch sichtbarer gemacht und die Kommunikation optimiert werden. Weitere konkrete Pläne können erst nach Auswertung der Ergebnisse erstellt werden. Bleib auf dem Laufenden
Umgesetzte Kriterien mit dieser Maßnahme:
- 8.2 Gesundheit & Sicherheit