Feiern für alle- gelebte Inklusion auf dem „Zurück zu den Wurzeln Festival“
„Zu alt“, „zu jung“, „nicht das gewünschte Aussehen “ – diese Art der Ausgrenzung an Berliner Club-Türen inspirierte das Team des „Zurück zu den Wurzeln“-Festivals dazu, einen besonders geschützten Raum zu schaffen, der für alle zugänglich ist.
Wir haben mit Joana Steinbach und Björn Ösingmann vom „Zurück zu den Wurzeln Festival“ darüber gesprochen, wie Inklusion auf Festivals gelingen kann, wo man als Event anfängt und welche Hürden zu bewältigen sind. Das Zurück zu den Wurzeln Festival schreibt sich „Feiern für Alle“ auf die Fahne und findet jedes Jahr in Brandenburg mit ca. 10.000 Besucher:innen statt.
„Wir wollen, dass alle zusammen feiern können – außer Nazis und homophobe Menschen.“
Schnell stand fest, dass dieser Raum auch Menschen mit Behinderung miteinschließen muss – und zwar nicht nur auf Rollstuhlrampen oder -Tribünen – sondern ganz nach dem Motto „Mittendrin statt nur dabei“. Die Vision des inklusiven Festivals war geboren: „Wir wollen, dass alle zusammen feiern können – außer Nazis und homophobe Menschen“, stellt Björn klar.
Um von der Vision in die Umsetzung zu kommen, hat das Team behinderte Menschen aus ihrem Freundeskreis befragt, sich beraten lassen und gemeinsam das Gelände angeschaut, um die vorhandenen Barrieren zu identifizieren. Anfangs war das Ziel, das Gelände möglichst barrierefrei zu gestalten – so wurden u.a. auf dem gesamten Gelände Rollstuhlplatten verlegt und DJ-Pulte angepasst, damit auch DJs im Rollstuhl auflegen können.
Bald darauf folgten Anfragen von Wohngruppen, ob auch behinderte Gruppenbewohner:innen möglichst barrierearm mitfeiern können. Getreu der Vision schaffte das Festival-Team auch dafür Wege, u.a. durch das Inklusionscamp – einem separaten Bereich auf dem Campingplatz – ausgestattet mit behindertengerechten Sanitäranlagen oder auch Betreuungsmöglichkeiten, um auch Menschen mit geistiger Behinderung das gemeinsame Feiern zu ermöglichen.
„Die größte Hürde fängt im Kopf an“
Maßnahmen ergreifen, Ideen umsetzen, Möglichkeiten schaffen –das sieht Björn bezüglich Inklusion gar nicht als die größte Hürde an. „Die größte Hürde fängt im Kopf an, denn jede Art von Behinderung wird unterbewusst erstmal negativ abgespeichert. Dass es normal ist, dass man Menschen mit Behinderung sieht und mit ihnen gemeinsam feiert und eine gute Zeit zusammen hat, das muss Gesellschaft erstmal zulassen.“
Ihre Strategie dazu: „Kein großes Thema draus machen, sondern vorleben, dass Behinderung zur Normalität gehört, es nichts Besonderes ist. Völlig egal – wir feiern mit Behinderten – die rollen ebenso über den Floor“, führt Björn aus.
Es fehlt infrastrukturelle Selbstverständlichkeit
Dieses Konzept geht auf und die Erfahrung zeigt dem Team, dass tatsächlich nur eine Sache in dem Zusammenhang kommuniziert werden müsse, und zwar „dass Behinderte nicht immer Hilfe wollen, dass das gefragt werden muss – und es sonst übergriffig ist.“
Aber natürlich fehlt es auch an infrastruktureller Selbstverständlichkeit: So gibt es zum Beispiel in Berlin-Brandenburg, wo das Festival stattfindet, nur einen barrierefreien Duschcontainer zu mieten und das für 130 Festivals, die in dieser Region stattfinden. Dasselbe Problem ist auch in den Clubs zu beobachten, denn kaum ein Berliner Club verfügt über ein behindertengerechtes WC.
Ein weiteres Problem sind fehlende Förderprogramme. Das Wurzel-Team finanziert viele ihrer Maßnahmen über Crowdfunding und Unterstützung der Besucher:innen. Bei Anträgen bezüglich Barrierefreiheit und Inklusion, werde man vom Amt gleich zu Aktion Mensch! weitergeleitet, kritisiert Björn.
„Öffnet mal mehr Finanzierungstöpfe!“
Daher fordert Björn, dass Kulturschaffenden auf Landes- und Bundesebene viel mehr Druck machen. „Es kann nicht sein, dass Inklusion von privat oder Wohlfahrtverbände finanziert werden soll.“ Dafür drücke Björn gern den Daumen in die Wunde, klopft bei Entscheidungsträger:innen an und macht ganz deutlich: „Ihr verweigert behinderten Menschen die Teilhabe, öffnet mal mehr Finanzierungstöpfe!“
Aber wie oder wo fängt man an, wenn man als Festival Inklusion vorantreiben möchte? Bei der Frage ermutigen Björn und Joana, dass jeder Schritt in die Richtung wichtig ist und richtig ist: „Menschen mit Behinderung werden es dir danken und kommen!“
Ein weiterer wichtiger Schritt ist es, die Gäste mit einzubeziehen, indem man zum Beispiel über Social Media ankündigt, dass man inklusiv werden möchte. Daraufhin bekommt man viele Tipps und Anregungen von den Gästen. Und auch sobald man erste Maßnahmen hinsichtlich Inklusion umgesetzt hat und sich vermehrt Menschen mit Behinderung von dem Festival angesprochen fühlen, sind ebendiese Gäste die Expert:innen mit Tipps und Verbesserungsvorschläge für noch mehr Inklusion.
Synergien von ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit
Tatsächlich kann man über das Wurzel Festival noch eine Menge inspirierender Maßnahmen berichten, denn auch was die ökologische Nachhaltigkeit angeht, setzen sie viel um: Es entsteht ein zero-waste Konzept, Mülltrennung wird vorangetrieben, es gibt ein Green Camp mit einem eigenen Kompost, Lastenräder und alte E-Busse werden beim Aufbau genutzt und auch Synergien zur sozialen Nachhaltigkeit entstehen – so werden u.a. die Kühlschränke für Medikamente des Inklusionscamps mit Solarenergie betrieben. Außerdem hat es das Team es geschafft, das Gelände für mehrere Jahre zu pachten, sodass die geschaffene Infrastruktur dort nun das ganze Jahr über für inklusive Aktivitäten zur Verfügung steht.
Da wir nicht annähernd alle Infos in diesem Blog-Artikel unterbringen konnten, empfehlen wir allen, einen Blick auf die Webseite dieses besonderen Festivals zu werfen.
Wir bedanken uns herzlich bei Joana und Björn für das spannende Interview!
Interview und Text: Maleen Rheinfeld