Vom 14. Juni bis 14. Juli 2024 verwandelte sich das Areal rund um das Brandenburger Tor und die Straße des 17. Juni in eine der zentralen Fan Zones der UEFA EURO 2024. Unter der kuratorischen Leitung von Kulturprojekte Berlin kamen über eine Million Besucher:innen zusammen, um Fußball, Kultur und städtisches Gemeinschaftsleben zu feiern.
Das übergeordnete Ziel des Projekts war nicht allein die Schaffung eines Public Viewings, sondern eines inklusiven Begegnungsraums, der soziale Teilhabe, Sicherheit und respektvolles Miteinander aktiv fördert.
Dabei war die soziale Nachhaltigkeit auf Grundlage des “menschenrechtsbasierten Teilhabekonzeptes” und des Leitbildes der Host City Berlin ein expliziter Schwerpunkt: Das Konzept sah vor, Zugänglichkeit, Safeguarding und Awareness als integrale Bestandteile der Veranstaltungsarchitektur zu verstehen – und nicht als nachträgliche Ergänzung.
Problem
Großveranstaltungen, insbesondere Sportevents, sind Orte intensiver Emotion, Begegnung und sozialer Heterogenität. Sie bringen Menschen unterschiedlichster sozialer, kultureller und körperlicher Voraussetzungen zusammen. Diese Vielfalt birgt enormes integratives Potenzial, führt aber auch zu exkludierenden Dynamiken:
- Barrieren in Mobilität und Kommunikation (fehlende Rampen, unlesbare Beschilderung, fehlende Audiounterstützung)
- Unsichtbare soziale Schranken durch Geschlecht, Religion, Sprache oder Behinderung
- Sicherheitsrisiken durch grenzüberschreitendes Verhalten und diskriminierende Übergriffe
Gerade in der hochfrequentierten Fan Zone Berlin bestand die Gefahr, dass vulnerable Gruppen – etwa Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, Sinnesbeeinträchtigungen, religiösen Bedürfnissen oder queeren Identitäten – unbewusst ausgeschlossen würden.
Damit stand die Veranstaltung vor der zentralen Herausforderung, Barrieren im physischen wie im sozialen Raum zu erkennen und aktiv zu reduzieren – im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention (Art. 9 Zugänglichkeit), der DIN 18040 (Barrierefreies Bauen) und des Berliner Landesgleichberechtigungsgesetzes (§ 4 Barrierefreiheit). Weiter zu nennen sind hier das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz und das Berliner Gesetz zur Gleichberechtigung von Menschen unterschiedlicher sexueller Identität.
Lösungsansatz
Kulturprojekte Berlin setzte ein umfassendes Konzept um, das Barrierefreiheit und soziale Inklusion nicht als Service, sondern als Haltung verstand. Die Maßnahmen lassen sich in drei Ebenen gliedern: baulich-räumlich, kommunikativ-strukturell und sozial-kulturell.
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Baulich-räumliche Zugänglichkeit
- Flächendeckender Kunstrasen auf der Straße des 17. Juni, getestet mit Zielgruppen auf Rollstuhltauglichkeit und Hitzebeständigkeit.
- Rampen und Bodenplatten an zentralen Übergängen, um Bordsteine barrierefrei zu überwinden.
- Easy-Access-Routen für Menschen mit Rollstühlen, Kinderwägen oder temporären Mobilitätseinschränkungen.
- Extrabühne für Rollstuhlfahrer:innen mit optimaler Sicht auf die Screens.
- All-Gender- und barrierefreie Toiletten, teilweise mit erweiterter Ausstattung für Menschen mit Mehrfachbehinderungen.

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Kommunikative Zugänglichkeit
- Piktogramme, Easy-Maps und Orientierungshilfen zur intuitiven Navigation.
- Audiotranskriptionen der Großbildschirme für sehbeeinträchtigte Personen.
- Gebärdendolmetschende bei ausgewählten Veranstaltungen und Bühnenprogrammen.
- QR-Codes führten direkt zu einem digitalen Help-Point in der „Safer Spaces“-App, die niederschwellige Unterstützung bei Konflikten oder Übergriffen bot.
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Sozial-kulturelle Inklusion
- Konfessionsübergreifende Gebetsräume, in enger Abstimmung mit Vertreter:innen verschiedener Religionsgemeinschaften konzipiert.
- Awareness-Teams mit geschultem Personal, stationär und mobil, sichtbar durch grüne Westen. Sie wurden im Rahmen eines Safeguarding-Programms qualifiziert und standen als erste Ansprechpersonen bei Konflikten, Diskriminierung oder Belästigung bereit.
- Einbindung eines Inklusionsbeauftragten bereits in der Planungsphase, um frühzeitig Bedarfe und Standards zu definieren.
- Sitzbereiche für vulnerable Gruppen, um Rückzugsorte im dichten Publikumsraum zu schaffen.
Diese Maßnahmen erfüllten zentrale Kriterien der Green Events Hamburg (GEHH)-Siegelkataloge in den Kategorien 8.1 (Zugänglichkeit) und 8.2 (Gesundheit & Sicherheit) und gingen darüber hinaus, indem sie soziale Diversität als Querschnittsthema verstanden.
Herausforderungen
Trotz der intensiven Vorbereitung traten mehrere Spannungsfelder auf:
- Raumkonflikte: Sitzbereiche für vulnerable Gruppen wurden bei starkem Andrang von anderen Besucher:innen belegt; Markierungen (Sticker) wurden teils entfernt. → Learning: stärkere visuelle Kennzeichnung und bessere Kommunikation mit Security-Teams nötig.
- Öffentliche Wahrnehmung: Die Gebetsräume stießen auf mediale Kritik und Fehldeutungen („nur für muslimische Besucher:innen“), was erheblichen Kommunikationsaufwand bedeutete. → Learning: proaktive Öffentlichkeitsarbeit und klare Erläuterung sozialer Maßnahmen bereits vor Eventstart.
- Awareness-Teams: Je differenzierter das Awareness-Konzept, desto mehr Fälle werden registriert. Das führt nicht zwangsläufig zu mehr Vorfällen, sondern zu höherer Sichtbarkeit – und damit zu mehr administrativem Aufwand in Dokumentation und Nachbearbeitung.
- Bewertungssysteme: Trotz des hohen Mehraufwands wurden Maßnahmen im GEHH-Siegel teils nur gering gewichtet (z. B. gleiche Punktzahl wie „keine Heizpilze“). → Learning: Notwendigkeit einer Anpassung der Bewertungslogiken für soziale Nachhaltigkeit.
Bilanz
Die Fan Zone Berlin zeigte, dass Inklusion und Sicherheit bei Großveranstaltungen realisierbar sind, wenn sie frühzeitig und interdisziplinär gedacht werden.
- Das Awareness-Konzept hatte eine spürbar präventive Wirkung, auch wenn dies schwer empirisch zu messen ist.
- Die Easy-Access-Routen und baulichen Anpassungen wurden von Besucher:innen positiv wahrgenommen und als Standard für künftige Events empfohlen.
- Die Kooperation mit Fachstellen für Inklusion und Barrierefreiheit erwies sich als entscheidend für praxisgerechte Lösungen.
Gleichzeitig wurde deutlich, dass soziale Nachhaltigkeit Ressourcen bindet, die in bisherigen Budget- und Zertifizierungsrahmen unzureichend abgebildet sind.
Vision
Die Fan Zone Berlin hat Maßstäbe gesetzt. Das Projekt zeigte, dass Großveranstaltungen neue soziale Standards erreichen können – wenn Barrierefreiheit, Awareness und Teilhabe als Grundpfeiler verstanden werden.
Die Vision für zukünftige Events lautet daher:
- Soziale Nachhaltigkeit als festen Bestandteil von Ausschreibungen und Förderlogiken zu verankern.
- All-Gender- und Inklusionsinfrastrukturen als Standard, nicht als Ausnahme, zu etablieren.
- Die Erfahrungen aus der Fan Zone als Blaupause für andere Städte und Festivals zu nutzen – von Stadtfesten über Open-Air-Kultur bis hin zu Sportgroßereignissen.
- Den Diskurs zu sozialer Barrierefreiheit mit wissenschaftlicher Begleitung (Evaluation, Normenabgleich, UN-BRK-Monitoring) weiterzuentwickeln.
Die Fan Zone Berlin 2024 war damit mehr als ein Fußballfest – sie war ein sozialräumliches Labor für eine zukunftsfähige diverse Stadtgesellschaft.

Umgesetzte Maßnahmen
2.1.2/3 Inklusive Erreichbarkeit und barrierefreier Veranstaltungsort
3.1.3/4 Barrierefreie Organisation und Teilnahme
8.1.2 Reduzierung sozialer Barrieren
8.1.3 Inklusive Durchführung
8.1.4 Barrierefreies Informationsmaterial und Kommunikation
8.2.4 Awareness-Konzept

 
